Die 35. Dorfgeschichtliche Wanderung fand am 18. April 2009 bei frühlingshaftem Wetter auf dem Gelände des ehemaligen Schiessplatzes am Rande des Flugplatzes Gatow im ehemals britischen Sektor von Berlin statt.
Der Schiessplatz versteckt sich gleichsam hinter hohen Wällen und Bäumen entlang der Potsdamer Chaussee und gehört heute zum Ortsteil Kladow im Bezirk Spandau von Berlin. Einzelheiten zur Geschichte dieser Schiessanlage sind mittlerweile nur noch wenigen Interessierten geläufig.
Die Wandergruppe, mit ca. 70 Teilnehmern, traf sich am südlichen Eingang zum Schiessplatz an der Potsdamer Chaussee in der Nähe der Straße am Landschaftspark Gatow, deren Name die bisher noch ungewisse Verwendung des Geländes vorweg nimmt. Die nunmehr zuständige Bundesanstalt für Immobilienaufgaben hatte das schwere Eingangstor zum gesicherten Schiessplatz geöffnet, der sonst für die Allgemeinheit nicht zugänglich ist. Hier empfing uns für das Kladower Forum und dessen Werkstatt Geschichte unser 1. Vorsitzender Rainer Nitsch, unter dessen bewährter Leitung die Wanderung ihren Verlauf nahm.
Geschichte Gelände
1930er Jahre
Mit dem Flugplatz Gatow begann 1934 die militärische Nutzung dieses Geländes. Einst erstreckte sich ein großes Gebiet mit Feldern, Wäldern und Wiesen zwischen der Gatower Heide und dem Groß-Glienicker See einerseits und andererseits zwischen der Gemarkung Seeburg und der Havel.
Auf diesem Areal ließ das Reichsluftfahrtministerium in gut einjähriger Bauzeit bis 1935 den Flugplatz Gatow als Kernstück mit Fliegerschule, Luftwaffenakademie, Luftkriegsschule und Luftfahrttechnischem Institut errichten. Wegen der Geheimhaltung ist der Flugplatz auf damaligen Karten nicht verzeichnet.
Nachkriegszeit
Am 26. April 1945 eroberte die Sowjetarmee auch den Flugplatz Gatow. Ein Vierteljahr später folgten die britischen Streitkräfte. Der Flugplatz wurde am 1. August 1945 offiziell in „Flugplatz Royal Air Force Gatow” umbenannt. Einherging das Potsdamer Abkommen der Siegermächte vom 26. Juli 1945. Es sah u. a. die Einrichtung von vier Besatzungssektoren auf dem Gebiet von Groß-Berlin unter der gemeinsamen Verwaltung der Alliierten Kommandantur vor.
Jede der vier Besatzungsmächte wollte über einen eigenen Flugplatz in ihrem Sektor verfügen. Zu diesem Zweck gelangten durch Gebietstausch einige Flächen aus der sowjetischen Besatzungszone zum britischen Sektor, der die Bezirke Spandau, Charlottenburg, Wilmersdorf und Tiergarten umfasste. Da Teile des Flugplatzes Gatow und die diesseits des Groß-Glienicker Sees gelegene „Wochenendsiedlung West“ zur sowjetischen Besatzungszone gehörten, schlug sie der Alliierte Kontrollrat dem britischen Sektor zu. In gleicher Weise wurde mit dem sog. „Seeburger Zipfel“ verfahren, der ursprünglich bis zur Weinmeisterhöhe in Spandau reichte und die beiden Zufahrten zum Flugplatz Gatow über die Potsdamer Chaussee bzw. die Gatower Straße abgeriegelt hätte.
Zum Ausgleich für diese Abtretungen gelangten West-Staaken und ein Stück der Rieselfelder jenseits der Potsdamer Chaussee zur sowjetischen Besatzungszone.
Damit war für die britische Besatzungsmacht ein ungehinderter Zugang zum Flugplatz Gatow gewährleistet. Während der Berliner Blockade entwickelte er sich zum weltweit umschlagsstärksten Frachtflughafen seiner Zeit.
Im September 1994 übergab die Royal Air Force den Flugplatz Gatow an die Bundeswehr. Er wird seither von zahlreichen militärischen Dienststellen und für das Luftwaffenmuseum der Bundeswehr genutzt.
Der Schießplatz
Die Planungen für den Schiessplatz Gatow, der sich zwischen dem eigentlichen Flugfeld und der Potsdamer Chaussee fast einen Kilometer lang erstreckt, gehen bis auf das Jahr 1977 zurück. Die britische Militärregierung war an einem hohen Ausbildungsstand auch der in Berlin nach einem Rotationsverfahren stationierten Truppen interessiert, um ihre ständige Einsatzbereitschaft zu gewährleisten. Ihren Bedarf an einem Übungsplatz für Handfeuer-und bestimmte Maschinenwaffen in Berlin rechtfertigte sie mit den Beschwerlichkeiten von Truppentransporten quer durch die DDR zu den im übrigen Bundesgebiet liegenden Schiessplätzen.
Gegen die Baupläne gab es von Anfang an heftigen Widerstand, der sich mit der Verwirklichung des ca. 90 Millionen DM teuren und wohl größten Schiessplatzes Europas ab 1983 noch weiter steigerte. Er wurde zunächst im Wesentlichen von der „Bürgerinitiative gegen den Schiessplatz in Gatow“ getragen, die im Kern aus den betroffenen Anwohnern der Siedlungen Habichtwald und Fliegerhorst sowie Groß-Glienickes bestand. Im Laufe der Zeit entstand eine breite Bürgerbewegung unterschiedlichster politischer Richtungen, die das Wirken der Bürgerinitiative über deren konkretes Engagement hinaus durch eine Vielfalt von Einwänden ergänzte.
Die Klage betroffener Anwohner beim Berliner Verwaltungsgericht unterband die Alliierte Kommandantur, die die Ausübung der deutschen Gerichtsbarkeit untersagte.
Ebenfalls 1983 begannen die Prozesse vor dem High Court in London gegen die in Betracht kommenden britischen Stellen, nämlich den Stadtkommandanten, den Kronanwalt (Attorney General) und das Verteidigungsministerium. Den Klägern wurde zwar ein Klagerecht vor britischen Gerichten zugestanden, jedoch ihr Begehren in der Sache selbst durch den High Court und in der Berufungsinstanz den Court of Appeal abgelehnt.
Eine entscheidungserhebliche Rolle spielten hierbei die „Howe-Certificates“ des Britischen Außenministeriums. Minister Howe bestätigte damit die Erklärung des britischen Stadtkommandanten, das er als „Organ der Regierung Deutschlands“ handele und deshalb Immunität vor britischen Gerichten genieße. Mit dieser Immunitätserklärung wurde auch die Beklagbarkeit des britischen Verteidigungsministeriums verneint. Auch der Court of Appeal entschied rechtskräftig im Februar 1986, dass die Howe-Certificates juristisch nicht anfechtbar seien. Damit war der Rechtsweg abgeschlossen.
Bereits im Januar 1985 hatte der Schießbetrieb begonnen. Als letztes Mittel legten die Betroffenen Ende 1986 Beschwerde bei der Europäischen Menschenrechtskommission in Straßburg ein. Sie wurde nach gut zweijähriger Verfahrensdauer abgelehnt. Die Bundesrepublik Deutschland sei nicht passiv legitimiert. Es könne offen bleiben, ob der Sachverhalt unter die Gerichtsbarkeit Großbritanniens falle, denn die Beschwerde könne in der Sache keinen Erfolg haben. Der Schutz des Privatlebens sei nicht berührt. Die tatsächlichen Umstände zum Zeitpunkt der 1989 getroffenen Entscheidung wägen nicht derart schwer, um daraus eine Beeinträchtigung der in Anspruch genommenen Rechte aus der Menschenrechtskonvention abzuleiten.
Schließlich werde den Berlinern das Recht auf Gerichtsbarkeit nicht generell verwehrt, weil ihnen nach der Sektorverordnung Nr. 508 Schadensersatz zustände. Der gegen Ende der achtziger Jahre abgeflaute Schiessbetrieb setzte sich auch nach der Wiedervereinigung fort, da den Alliierten bis 1994 Übergangrechte eingeräumt wurden. Im Zuge des 1. Golfkriegs, an dem auch britische Truppen beteiligt waren, wurde der Schiessplatz intensiver genutzt. Mit dem Abzug der Briten wurde der Schiessplatz stillgelegt und harrt seiner beabsichtigten Einbeziehung in den Landschaftspark Gatow, dessen Realisierung jedoch in den Sternen steht (Geplante Fertigstellung 2020). Die Schiessplatzgeschichte füllt – ganze Bände. Das Archiv des Kladower Forum verfügt aus dem Nachlass eines Betroffenen über fünf prall gefüllte Leitzordner, bei deren Lektüre das letzte Kapitel der Besatzungszeit Berlins vorbeizieht.
Eindrücke des Besuchs
Die Wanderung führte uns zunächst durch eine massive Betonunterführung unter dem längsseitigen Wall auf der Flugplatzseite zum Standplatz der Panzer am Fuß der Schiessanlage mit zehn Schiessbahnen auf 600 Meter Länge und 80 Meter Breite.
Dieser beeindruckende Wall ist aus dem Aushub entstanden, der bei der Vertiefung des Bodens um 8 Meter angefallen war. Die Schiessanlage hat drei dieser Zufahrten, je eine am Fuß, in der Mitte und am Kopf mit der meterhohen Sandaufschüttung als Kugelfang.
Diese Zufahrten dienten dem Schiessbetrieb über unterschiedliche Distanzen mit Handfeuer- und Maschinenwaffen. Die Schiessanlage wird in halber Höhe durch eine Reihe von massiven Schallschutzwänden gequert, die auf mächtigen Betonpfeilern ruhen. Die mit mehreren Lagen Holz- und Dämmmaterial bedeckten Wände dienten auch dem Schutz vor Splittern und Querschlägern. Die Pfeiler reichen viele Meter ins Erdreich. Die Wände waren über die gesamte Breite mit schmalen Betonelementen zum Schutz vor Verwitterung überdacht. Die Teile sind aus feinstem Stahlbeton gefertigt und könnten ohne Weiteres wiederverwendet werden, wenn sich denn ein sinnvoller Bedarf ergäbe, der sich bisher jedoch nicht gezeigt hat.
Allein die Abbaukosten werden vom Bundesbauamt auf ca. 1,2 Millionen geschätzt. Es sind 8000 cbm Stahlbeton, 800 cbm kontaminiertes Holz und der durch Munition kontaminierte Boden zu entsorgen. Der Kugelfang aus feinem Sand muss von Geschossen verseucht sein, weil sich auch nach fünfzehn Jahren keine Spur von Grün darauf zeigt. Soweit es geht, hat sich die Natur den Schiessplatz zurückerobert. Die Wälle sind dicht bewaldet und zwischen ihnen liegen auf einem Teil der Fläche die Rasenparcours des Vereins für deutsche Schäferhunde, die vom Gelände der ehemaligen Kohlengruben, das heute zum Golfplatz gehört, umgesiedelt wurden.
Ein Haufen roter Waldameisen auf der Schussbahn und eine Wildschweinfamilie im Grashang des Walls, den die Wandergruppe auf dem Rückweg erstieg, runden das Bild ab. Am Kopf der Schiessanlage befinden sich verschiedene Zielvorrichtungen die von einem unterirdischen Gang aus betrieben wurden und dahinter der Kugelfang, der vielleicht zehn Meter hoch ist.
An einer Seite gibt es eine Übungswand für Kletterer. Nach Durchquerung des letzten Tunnels kletterte die Wandergruppe auf dem Rückweg auf den Wall und hatte einen schönen Ausblick linker Hand auf den Flugplatz mit den Flughafengebäuden, und rechter Hand konnte man die ehemaligen Militäranlagen der DDR-Grenztruppen, die heutige Waldsiedlung, ahnen. Nach gut zwei Stunden ging es zum Ausgangspunkt zurück.
Der Rundgang über den ehemaligen Schiessplatz Gatow hat uns einen einmaligen Eindruck von diesem fremden Ort verschafft und einen Rückblick auf ein langes Kapitel deutsch-britischer Militärgeschichte beschert. Möge er in Zukunft friedlicher Erholung dienen!