Kladows Notschrei

Am 1.10.1921 wurden die Dörfer Cladow und Gatow durch einen „Strich auf der Landkarte” der Stadt Berlin einverleibt. So ist es allgemein bekannt. Wissen Sie aber, dass der Hauptausschuss des Preußischen Landtags beschlossen hatte, Gatow und Cladow zum 1.April 1925 aus Berlin wieder auszugemeinden?

Die Diskussion über Sinn und Zweckmäßigkeit der Eingemeindung der beiden Landgemeinden kam jetzt erst richtig in Gang. Die Einwohner selbst wurden nicht befragt, meldeten sich aber nun lautstark und heftig zu Wort. So sammelten die Lehrer Dürre und Trebbin Unterschriften für die Aufrechterhaltung der Eingemeindung in Berlin und schickten diese an den Preußischen Landtag. Dagegen verwahrten sich vehement die Herren Beer, König, Fr. Parnemann und Schulze ihrerseits in einer Eingabe an den Landtag, die sie auch als „Notschrei” in einem Flugblatt verbreiteten (siehe Abb.). Sie warfen den beiden Lehrern massive Beeinflussung der Eltern ihrer Schüler vor und diskriminierten den mitunterzeichnenden Pfarrer Herrmann als „z. Zt. wegen hier nicht bekannten Unregelmäßigkeiten vom Amt suspendiert”.

Dass Cladow und Gatow „organische Bestandteile” des Kreises Osthavelland wären, betonte auch schon der Kreistag in Nauen am 31.1.1920. Der Kreis Osthavelland wäre ohne die beiden Dörfer, den „steuerkräftigsten und entwicklungsreichsten Teil des Kreises”, nicht mehr lebensfähig. Zudem würde die Stadt Potsdam mit ihren großstadtsüchtigen Plänen” ermutigt, sich ebenfalls Teile des Osthavellandes einzuverleiben.

„Der Vorsitzende (des Kreistages, d. Verf.) sagte zu, dass er bemüht sein werde, auch die Randgemeinden kräftig zu fördern und wies u.a. auch darauf hin, dass es ihm bereits gelungen sei, nach Cladow einen Arzt hinzuziehen. Es stehe jetzt auch seit ganz kurzer Zeit ein Krankenauto für die Beförderung von Kranken, wenigstens, soweit sie Kassenmitglieder seien, zur Verfügung”. Weiter wurde auf den vorgesehenen Anschluss beider Dörfer an das Wasserwerk in Staaken, sowie auf die geplante Kleinbahn von Spandau nach Potsdam hingewiesen. Wenn alle diese Argumente nicht einsehbar wären, sollte wenigstens” die Havel als natürliche Kreisgrenze respektiert werden.

Spandau war bereits am 1.4.1887 aus dem Kreis Osthavelland ausgeschieden und selbstständige Stadtgemeinde geworden. Die Vertreter von Spandau, die sich ebenfalls vergeblich gegen die Eingemeindung ihrer Stadt in Berlin gewehrt hatten, witterten in Cladow und Gatow Verbündete eigener art, um ihre Selbstständigkeit zurückzubekommen. Sie versuchten die Cladower und Gatower zu überzeugen, dass nicht nur das Zusammengehen aller drei Gemeinden erforderlich wäre, sondern einzig der Anschluss Cladows und Gatows an Spandau deren Überlebensfähigkeit gegenüber den Herausforderungen der neuen Zeit sichern würde.

Nun, Cladow und Gatow kamen zu Spandau, Spandau (damit auch Cladow und Gatow) zu Groß-Berlin. Der Preußische Landtag lehnte also den Beschluss des Hauptausschusses auf Ausgemeindung ab. Von den zahlreichen Versprechungen, Plänen, die im Zuge des Gerangels den Cladowern und Gatowern gemacht worden waren, wurde so gut wie nichts verwirklicht. So warten die Kladower noch heute auf den Bau eines “stattlichen Gemeindehauses”, 1924 von Spandaus damaligem Dezernenten für Hochbau und Siedlungswesen, Ludorf, als schon “ausgearbeitet” angekündigt. Ludorf warf dem Kreis Osthavelland u. a. vor, bisher für Cladow keinen Bebauungsplan aufgestellt zu haben, “der die künftige Entwicklung zielbewusst in die richtigen Bahnen lenkt”. Mit Spandau sollten für Kladow “bessere” Zeiten anbrechen.

Im Cladow jener Tage jedoch kühlte die Erregung über die verordnete Eingemeindung nur sehr langsam ab. Reste davon scheinen heute noch spürbar zu sein.
Rainer Nitsch
Quellen:
1. Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz
Abt. Merseburg, Pr.Br.Rep.169D, IV b
Gemeindeangelegenheiten, I, 2 adh. 2
Zuschriften, Band 1 Blatt 394;
L 2 adh. 3 Eingaben, Band 2 Blatt 452 und 454, Band 3 Blatt 22. Spandauer Zeitung Nr. 168 vom 19. April 1924, 1. Beiblatt

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