40. Dorfgeschichtlichen Wanderung: Von Gaststätten, Hotels, Cafés und Kneipen einst und jetzt

Eine frische Herbstbrise empfing die ungefähr 70 Wanderfreunde am 8. Oktober 2011 am „Steinernen Schiff“ am Havelufer Imchenplatz. Hier sollte unsere Herbstwanderung durch das gastliche Kladow beginnen und an die 39. Dorfgeschichtliche Wanderung zum herbstlichen Kladow anknüpfen. Unser Vorsitzender Rainer Nitsch führte in das Thema und die Konzeption der Wanderung kundig ein.

Seine Anmerkungen galten der Geschichte der Kladower Gaststätten und sonstigen einschlägigen Betrieben als Teil einer dörflichen Kultur- und Entwicklungsgeschichte. Der Bogen reicht hier vom Jahr 1375, in dem eine Kaiserliche Revisionskommission unmutig feststellen musste, dass es in Cladow keinen Krug für Pferd und Reiter gab, bis in die Neuzeit. Der traurige Zustand dauerte über Jahrhunderte an. Er war der Abgeschiedenheit und den miserablen Straßenverhältnissen dieser Landschaft geschuldet, die jede Fahrt nach Spandau über Gatow zu einer beschwerlichen Reise werden ließ. Der Verkehr spielte sich nördlich über die alte Heer- und Landstraße über Groß Glienicke ab.

Havelhaus

Unsere erste Station war das wenige Schritte entfernte, denkmalgeschützte „Havelhaus“ am Havelufer Richtung Neukladow. Es war als Landhaus gebaut und wurde erst später zu einem Ensemble aus Gastwirtschaft und einem Hotel mit Bootstankstelle am Ufer, an das sich ein Laubengelände anschloss. Der letzte Eigentümer hatte es 1978 dem Land Berlin zu gemeinnützigen Zwecken vermacht. Die here Zielsetzung einer Zuflucht für Blinde und Alte konnte in 20 Jahren nicht verwirklicht werden, bis der Liegenschaftsfonds das ganze Areal im Jahr 2000 an eine Investorin aus Potsdam verkaufte, die es für Wohnbebauung nutzen will.

Das weitläufige Nachbargrundstück gehörte einst der Berliner Stadtreinigung, die darauf eine prächtige Anlage für Freizeit, Sport und Erholung betrieb. Sie stand auch Gästen offen, so dass sich mancher von uns gerne an Gelegenheiten wie Saunagänge, ein opulentes Frühstück oder eine Kaffeetafel auf der Terrasse erinnerte. Mittlerweile ist hier eine monumentale Villa mit schönem Havelblick entstanden. Wer die hat erbauen lassen, bleibt vorerst der Spekulation überlassen, weil es an dem vorgeschriebenen Angaben auf dem Bauschild fehlt.

Steinerne Schiff

Für die zweite Station machte die Wandergruppe wieder am „Steinernen Schiff“ halt, wo Hanne Ritter als ortskundige Auskunftsperson einen wichtigen Aspekt der Entwicklungsgeschichte Kladows beisteuerte. Mit der Abgeschiedenheit dieses Dorfes war es eigentlich erst mit dem Aufkommen der Dampfschifffahrt auf der Havel gegen Ende des 19. Jahrhunderts vorbei. Das brachte Leben und Aufschwung ins Dorf, weil Mengen von Berliner Ausflüglern und Urlaubern verpflegt und untergebracht werden mussten.

Dampfa-Eck

Die dritte Station am Rohrsängersteig übernahm Helga Heinze als weitere ortskundige Zeitzeugin und schilderte uns die Umgebung im Wandel der Zeiten. An das ehemals etwas ungepflegt wirkende Erscheinungsbild des Kladower Ufers an der Anlegestelle erinnerte bis vor kurzem noch das „Dampfa-Eck“, das sich mittlerweile unter dem Logo „Weihenstephan“ zu einem richtigen Gartenlokal gemausert hat.

Links des Rohrsängersteigs erfreut das Büdnerhaus von 1800 das Auge. Allerdings ist von dem Urzustand des Gebäudes, das einst dem Fischer August Bels gehörte nur noch der Kamin übrig geblieben. Das ganze Büdnerhaus sollte 1989 abgerissen werden, weil es in einem schandbaren Zustand war. Unter anderem das Kladower Forum konnte dies verhindern, allerdings nur den alten Kamin retten. Das Haus kann sich jedoch dem äußeren Erscheinungsbild nach denkmalwürdig sehen lassen und wurde zunächst als „Büdnerstube“, dann als „Landhaus Pfefferkorn“ gastronomisch genutzt. Zuletzt ist es dem benachbarten „Maisels Biergarten“ zugeschlagen worden.

Links daneben befindet sich ein weiteres Büdnerhaus, das der Büdner Carls Marzahn 1881 in seiner jetzigen Gestalt erbaute. Jahrzehntelang betrieb hier ein Otto Brandenburg das „Brandenburgeck“. Er war berühmt und berüchtigt wegen seines lauten Gepolters, mit dem er seine Küchenbrigade kommandierte. Sein „Eckig, zackig“ und „Zack-zack“ hat Helga Heinze noch heute im Ohr. Friedlicher soll sein Angebot geklungen haben „Der alte Brauch wird nicht gebrochen, hier können Familien Kaffee kochen“.

Ehem. Seglerheim

Bei der vierten Station vor dem ehemaligen Seglerheim, kam Helga Heinze ins Schwärmen. Nach dem Ende des 2. Weltkrieges fanden hier 20 Jahre lang in dem Ballsaal Theater- und Opernaufführungen statt, wie etwa „Schwarzwaldmädel“ oder „Der Fidele Bauer“. Außerdem war es das Haus der Großen Bälle und Feste. Auf einem von ihnen soll sie ihren späteren Mann kennengelernt haben.

Etwas vor dieser Hoch-Zeit spielt die Erinnerung an die Große Blechhenne mit dem roten Schopf, die die Freitreppe zum Seglerheim bewachte. Steckte man einen Groschen in ihren Schnabel, gackerte sie und spuckte hinten einen Dauerlutscher aus. Ein ewiger Spass für Jung und Alt! Nach dieser Großen Ära kümmerte das Seglerheim dahin, kam unter Denkmalschutz, wurde ab 1992 restauriert und beherbergt jetzt ein Hotel und das „Bistro Verde“. Leider hat der Saaltrakt mit Großem Tresen, Garderoben und dem Ball- und Bühnensaal die Restaurierung nicht überlebt.

Der Geländestreifen ab dem Seglerheim bis zum Sakrower Kirchweg, der in Gänze der Bauernfamilie Parnemann gehörte, war ebenfalls mit zwei weiteren berühmten Häusern besetzt, dem „Märkischen Hof“ und dem „Haus Helgoland“. In dem ersten konnte man diskret und gut speisen, in dem zweiten auch gute Herberge finden. Haus Helgoland beherbergt jetzt den Installationsbetrieb Fiedler.

Auf der Imchenallee ging es weiter. Man geht hier sozusagen auf Berliner Müll, weil um 1900 der Uferstreifen bis zum Schwemmhorn aufgeschüttet wurde, um den Überschwemmungen zu trotzen.

Ciro

Unsere fünfte Station war der Blickpunkt auf das Kinderheim St. Hedwig hoch oben auf der Kladower Düne. In den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts betrieb dort der Ägypter Achmed Mustafa, von Beruf Musiker, Eintänzer und auch privat ein Gigolo, das Etablissement „Ciro“. Seine Beziehung zu einer Textilfabrikantin versetze ihn in die Lage, das Haus Ciro in Kladow einzurichten. Dass das „Ciro“ ein Edelbordell gewesen sein soll, ist ein bloßes Gerücht. Wahrscheinlich ist es dem florierenden Liebesleben des Herrn Mustafa geschuldet. In den vierziger Jahren wurde das Lokal von der Gestapo geschlossen. Mustafa und seine Band spielten Jazz-Musik im „Ciro“ und waren auch sonst suspekt. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam das Haus als Kinderheim unter die Fittiche der katholischen St. Hedwigs-Schwestern. Heute trägt es den Namen „Sancta Maria“.

Haus Trinitatis

Als sechste Station lief die Wandergruppe das „Haus Trinitatis“ an, das die vormalige Besitzerin der Trinitatis-Gemeinde in Charlottenburg vermacht hatte. Zunächst diente es auch als Kindererholungsheim. Dann wurde es in ein edles, stadtbekanntes Hotel und Restaurant unter der Leitung der ehemaligen Heimköchin umgewandelt. Das Haus war bei den Berlinern, die lange Reisen scheuten, sehr beliebt wegen seiner idyllischen Lage, fern der Großstadt, des guten Essens und der edlen Einrichtung. Martin Buchholz als weiterer Zeitzeuge berichtete unter anderem von einem festlichen Spiegelsaal, in dem Familienfeiern stattfanden. Rechts daneben liegt die „Villa Oeding“, die den Namen ihres bekanntesten Besitzers trägt. Die Villa wurde als „Ruinenhaus“ erbaut und ist mitsamt dem alten Hanggarten von ihren jetzigen Eigentümern wunderschön restauriert worden.

Café Köhn

Über den gepflasterten Durchweg „Am Roten Stein“ ging es hangaufwärts bis zum ehemaligen „Café Köhn“ und der gleichnamigen Bäckerei als siebter Station. Hierzu kann auf den Bericht über die 39. Dorfgeschichtliche Wanderung verwiesen werden. Martin Buchholz ergänzte manches aus der Familiengeschichte des Bäckermeisters Köhn und seiner drei schönen Töchter, die das Erbe ihres Vaters leider nicht bewahren konnten. Nach einigen Besitzerwechseln und langem Leerstand erstrahlt es jetzt liebevoll restauriert wieder in altem Glanz. Investorin ist übrigens dieselbe Architektin, die uns bereits am Havelhaus begegnet war.

Gasthaus Herms

An der Einmündung des Parnemannwegs in die Sakrower Landstraße steht das ehemalige „Gasthaus Herms“ eines der ältesten Kladower Wirtschaften, unserer achten Station. Früher konnten hier Pferd und Reiter ausspannen und sich erfrischen. Heute ist es ein Ärztehaus.

Kladower Hof

Schräg gegenüber besuchten wir als unsere neunte Station den „ Kladower Hof“. Er hieß bei seiner Errichtung im Jahre 1905 noch „Gasthaus zum goldenen Stern“. Uns begrüßte die Enkeltochter der Familie, die seit 1916 das Lokal innehat, Inge Groß. Es waren eigentlich fast immer die Töchter der Kladower Wirtsfamilien, die den Laden am Laufen gehalten haben. Sie waren tüchtig und konnten kochen. Im Kladower Hof tagt jeden Freitag der Männergesangsverein „Eintracht“ Cladow 1919, der im Jahre 1919 im Gasthaus Herms unter der Leitung von Gertrud Herms gegründet worden ist.

Zum Dorfkrug

Der Kirchplatz war unsere zehnte und letzte Station. Das jetzige Gasthaus „Zum Dorfkrug“ hieß in den dreißiger Jahren „Zur Wartehalle“, weil hier der Wendeplatz für die Busse war und man oft stundenlang warten musste. Mit Hanne Ritter blickten wir noch mal rund und hörten Geschichten zum Haus Jäkel, dem jetzigen „1876“, das seit 2010 zum Verkauf steht; zu Kläre Knopf und ihrem „Café Clair“, die vorher mit ihrem Mann „Knöpfchen“ eine Eisdiele aufgemacht und später auch mit den ersten Curry-Würsten in Kladow viel Erfolg hatte. Wer jetzt noch nicht genug hatte, ging dann ins Haus Kladower Forum, wo die Ausstellung zum Thema jeden Informationswunsch befriedigen konnte.

Eike-Eckehard Baring (Werkstatt Geschichte)

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