In meinem Artikel über die „Planungen einer Bahn nach Cladow“ erzählte ich über die in der Vergangenheit geplanten Bahnverbindungen nach Kladow. Ausgerechnet die hier erwähnte, ausgesprochen utopisch anmutende Idee einer „Blitzbahn” mit einer vorgesehenen Geschwindigkeit von 360 km pro Stunde löste Erinnerungen bei einer Reihe von Kladowern aus. So meldeten Anfang der dreißiger Jahre die Zeitungen in großer Aufmachung die Ankunft des „Schienen-Zeppelins” mit dem Erfinder und Konstrukteur Franz Kruckenberg im Bahnhof Spandau-West. Nach kurzem Aufenthalt fuhr er weiter zum Bahnhof Rennbahn Grunewald. Hier konnte die Bevölkerung den von einem gewaltigen Propeller angetriebenen Zug mehrere Tage besichtigen. Kladower erinnern sich, mit ihren Eltern in den Grunewald gefahren zu sein, um sich diese Sensation nicht entgehen zu lassen. Wie beeindruckend die Begegnung war, beweisen die heute noch lebendigen Erinnerungen.
Angeregt von diesen Erzählungen suchte ich nach konkreten greifbaren Spuren und fand sie in amtlichen Akten und Zeitungen. Am 10.3.1926 erläuterte der Dipl.-Ing. Franz Kruckenberg im Zimmer des Spandauer Bürgermeisters Stritte Fachleuten seine Pläne. Danach sollte in einer ersten Stufe eine Luftschwebebahn Berlin – Spandau – Potsdam mit zentralem Bahnhof in Kladow gebaut werden. Diese Vorortbahn sollte zur Erprobung des propellergetriebenen Zugwagens genutzt werden. Immerhin war schon auf dieser Versuchsstrecke eine Geschwindigkeit von 120 bis 240 km pro Stunde vorgesehen. In einer zweiten Stufe sollte dann zunächst die Strecke Berlin – Hannover mit einer ebenerdigen zwei- bis viergleisigen Anlage versehen werden. Eine weitläufige Kurvenführung könnte dem 700 PS starken Propellermotor eine Geschwindigkeit von 360 km pro Stunde ermöglichen. Auch für diese Bahnführung war Kladow als Bahnhof’ „Groß-Berlin-West” geplant.
Hier sollte also der Ausgangspunkt eines fantastischen Verkehrsnetzes sein, das über die Grenzen Europas weltweit Länder und Völker miteinander verbinden konnte.
Und der Heidelberger Franz Kruckenberg ging ans Werk. Mit anerkannten Fachleuten gründete er die „Studiengesellschaft für Verkehrstechnik “, bereiste die großen Städte des In- und Auslands, warb und überzeugte und entwickelte mit seinem Team den Prototyp des „Schienen-Zepp”, wie er bald im Volksmund genannt wurde.
Die meisten großen Städte, aber auch die Deutsche Reichsbahn signalisierten großes Interesse. Der Höhepunkt für die Öffentlichkeit war zweifellos die Versuchs- und zugleich Werbefahrt des Schienen-Zeppelins von Hamburg nach Spandau. Die Strecke war von der Reichsbahn für die Fahrtzeit völlig gesperrt, alle Signale außer Kraft gesetzt, sämtliche beschrankten Bahnübergänge sicherheitshalber schon 25 Minuten vor der erwarteten Durchfahrt geschlossen.
Für die 250 km von Hamburg-Bergedorf nach Spandau- West benötigte der Schienen-Zeppelin die neue Rekordzeit von 1 Stunde und 38 Minuten. Das entspricht einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 170 km pro Stunde. Die Höchstgeschwindigkeit betrug 230 km pro Stunde. Allerdings musste der Zug auch einmal wegen zu enger Kurven auf 60 km pro Stunde herunter. Nach feierlicher Begrüßung in Spandau fuhr der Wagen zum Bahnhof Rennbahn Grunewald.
Ab 8 Uhr konnte das Publikum den futuristisch aussehenden Zug besichtigen. Tausende ließen sich diese Sensation nicht entgehen, so auch viele Kladower, die die Fahrt in den Grunewald zu einem Familienausflug machten. Die Welt hielt den Atem an. Jules Vernes Pläne schienen veraltet. Man riss sich um Bilder und Text. Der Sensation waren die Tore geöffnet, sie verlangte ihr Recht”. So schrieb die „Spandauer Zeitung”.
Wir wissen heute, dass die Großartigen Ideen über dieses Versuchsstadium nicht viel weiter hinaus wuchsen. Die schlechte wirtschaftliche Lage Anfang der dreißiger Jahre ließ auch kleinere Lösungen, wie die projektierte “Blitzbahn ” von Berlin über Kladow nach Potsdam, scheitern. In dieser Situation war es für Kruckenberg schwer, die Wirtschaftlichkeit seiner Erfindung nachzuweisen, obwohl sie vergleichbaren Entwicklungen – wie z. B. der AEG weitaus überlegen war. Hinzu kam, dass Kruckenberg von dem Züricher Prof. Wiesinger in Berlin verklagt wurde, weil er ihm die Konstruktion gestohlen hätte.
Die Geschichte des Schienen-Zeppelins ist für uns ein weiteres Beispiel dafür, dass in der Vergangenheit Kladow in großartige und weitreichende Planungen einbezogen wurde. Aber auch ein Beispiel dafür, wie häufig diese Ideen einschliefen, scheiterten, manchmal bloßes Papier blieben. Der „Schienen-Zepp“ hat es wenigstens bis einer Versuchsfahrt gebracht.
Rainer Nitsch
Quelle:
Landesarchiv Berlin, Rep. 208. Acc. 2315. Nr. 9634 Schnellschwebebahnen
Spandauer Zeitung vom 20.10.1930, 27.2., 22.6. und 27.10.1931
Bildnachweis: Bundesarchiv Aktuelle-Bilder-Centrale, Georg Pahl (Bild 102), Juni 1931